Anabolika, Testosteron, Östrogen, Epo: Über Jahrzehnte wurden in der Bundesrepublik leistungssteigernde Mittel erforscht und an Sportler verteilt. Funktionäre deckten das System, auch die Politik war eingeweiht. Ein Bericht der Berliner Humboldt-Universität enthüllt die Ausmaße des Doping-Systems in Westdeutschland. Jetzt gibt es Streit um die Veröffentlichung der Studie.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden Sportler spätestens seit Beginn der Siebzigerjahre systematisch und organisiert gedopt. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Studie der Humboldt-Universität (HU) Berlin hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
In dem etwa 800 Seiten dicken Bericht über "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" wird detailliert aufgeführt, in welchem Umfang und mit welcher Systematik zu Zeiten des Kalten Krieges auch in Westdeutschland Doping und Dopingforschung betrieben wurden. Demnach finanzierte der Staat über Jahrzehnte aus Steuermitteln Versuche mit leistungsfördernden Substanzen wie Anabolika, Testosteron, Östrogen oder dem Blutdopingmittel Epo.
Laut den Autoren geschah das nicht etwa als Reaktion auf das Staatsdoping in der DDR, sondern parallel dazu. Die Fäden liefen dabei im 1970 gegründeten Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) zusammen, das bis heute dem Bundesinnenministerium untersteht. Der konkrete Umfang und die genauen Kosten sind unklar. Den HU-Historikern zufolge verteilte das BISp jedoch allein zehn Millionen D-Mark an die zentralen sportmedizinischen Standorte in Freiburg, Köln und Saarbrücken.
1200 Kolbe-Spritzen bei Olympia
Der Dopingmissbrauch zog sich demnach quer durch zahlreiche Sportarten. Bei den Leichtathleten standen Anabolika hoch im Kurs, die Fußballer sollen Pervitin und später andere Amphetamine benutzt haben, und alleine bei den Olympischen Spielen 1976 wurde 1200 Mal die Kolbe-Spritze injiziert - benannt nach dem Ruderer Peter-Michael Kolbe.
Zudem zeigt der Bericht, dass westdeutsche Sportmediziner sogar vor Minderjährigen-Doping nicht zurückschreckten, dass bereits 1988 mit Epo experimentiert wurde und dass die Politik eingeweiht war und das System weniger bekämpfte als beförderte.